13.06.2016

Drei Farben bei Otto Scherer

Wo Steinbock, Glockenturm und Moor aneinanderrücken 


„Kunstraum Stoffen“ steht auf dem erhöhten Block. Gegenüber des Maibaums wächst eine platinglänzende Säule in den Himmel. Nanu, macht Constantin Brâncuși hier in Konisch? „Drei Farben: Schwarz“ informiert das Schild neben der Tür. Hier sind wir richtig. Monica Scherer steht freudestrahlend im Türrahmen, ihr schwarzes Haar glänzt im Licht der endlich wieder durchblitzenden Sonne. Die Künstlerin Lore Kienzl  hatte uns spontan den Vorschlag unterbreitet, diese kleine, aber feine Ausstellung in der Galerie von Otto Scherer zu besuchen. –

Nur wenige Kilometer weiter, in Issing, haben wir die Kunstgalerie Josephski-Neukum im ehemaligen Pfarrhaus besucht. Das Haus selbst ist eine Schau, alles unregelmäßig und ungewöhnlich: der Putz an den Wänden, die Höhe der Treppenstufen, der Einstieg in die Ausstellungsräume. Und die Zusammenschau der Werke von sechs Mitgliedern der Akademie der Schönen Künste war so bunt und so breitgefächert wie die Blütenpracht im Garten des Hauses: ein quirliges Treiben der Stilrichtungen, Pinselstriche naiv wie Erstversuche, Federzeichnungen, die jeden Ausrutscher zulassen. –

Welches Kontrastprogramm in den sorgfältig renovierten Räumen im Erdgeschoss von Otto Scherers Wohnhaus: Hier ist alles etwas kleiner, unaufgeregt und aufgeräumt. Wie das Haus sind die Werke der zehn zurzeit ausstellenden Künstler – bis ins Detail geplante, handwerklich präzise ausgeführte Stücke, denen eins gemein ist: Sie sind schwarz. Schwarze Kunst an weißen Wänden. Und doch keine harten Kontraste. Denn jeder hat dem Schwarz auf seine Weise Nuancen und Spiegelungen abgetrotzt. Wie viel Licht aus den Erhebungen und Vertiefungen blitzt! Wie es sich verändert, wenn wir unseren Blickwinkel ändern! Reduziert auf eine Farbe wird anderes wichtig als nur das Motiv: Die Wahrnehmung rückt in den Vordergrund.

Wir tauschen uns mir den Besucher dieser besonderen Ausstellung darüber aus, wie wir das Gesehene individuell wahrnehmen. Viel intensiver sind die Gespräche als sonst, bei bunten Motiven. Weil wir uns auf die feinen Unterschiede fokussieren, das Filigrane entdecken, das sonst so leicht untergeht – sei es bei den minutiös angefertigten Grattagen von Karl Heinz Kappl oder bei der in Schwarz und Platin glänzenden Keramik von Otto Scherer. Ähnlich wirken die Metallobjekte von Erica Heisinger, zu einem „Kleinen Schwarzen“ auf Wandplatten Raum greifend montiert, auf uns oder jene von Hans Schüle, die frei im Raum stehen, gefaltet und aneinandergefügt in biometrischer Ordnung, als Fraktale natürlich gewachsenen Schaffens.

Bei einem Moor-Bild von Max Schmelcher, einfarbig, aber von intensiver Aussagekraft, verharren wir vor einer düster-erdigen Landschaft, fahren mit den Augen die vorgegebenen Linien nach, verlieren uns in den unkontrolliert aufgesprungenen Rissen und finden die Leichtigkeit wieder in den scheinbar wahllos dahingetupften Wolkengebilden. Noch tiefer zieht uns Eric Gands glänzende Umsetzung von „Schwarz bis in die Nacht“ hinein: Ist das der Neumond oder gar eine ferne Galaxie, die in einem schwarzen Loch verschwindet? Wenn wir es nur lange genug betrachten, werden die Grenzen zwischen Glanz und Matt verwischen?

In Raimer Jochims’ „Schwarzlicht“ klappt ein Buch auf, seine Seiten verbergen kohlefarbene Einträge. Ein Märchen, eine Sage, ein abgebranntes Leben? Die halbwüchsige Betrachterin neben mir hat andere Vorstellungen als ich. Daneben hängt eine Installation aus Büttenpapier, die bunte Farben auf dem gerissenen Rand nur erahnen lässt. Verblüfft stehe ich vor dem Hauch von Nichts, den Mona G. Ulner materialisiert hat. Was ist es, was mich so sehr anzieht, dass ich genau dieses am liebsten abhängen und mitnehmen würde? Ist es die Herausforderung als Folge der Unfähigkeit, es sofort zu durchschauen, ihm eine Zuordnung zum Bisherigen abzuringen?

Fast unscheinbar teilt sich ein schlichter grauer Keramikblock mit anderen Kleinobjekten den Raum in dem aufgefächerten Regal. Ein Stück Erde, ein Klumpen Ton, etwas rissig, absolut gewöhnlich – wäre da nicht das perfekt gleichschenklige, in purem Gold glänzende breite Kreuz in seiner Mitte. Dieser Schatz im Unscheinbaren, die Erhöhung des Alltäglichen – noch so ein Mitnahme-Kandidat, jedoch von Otto Scherer.

Dagegen ist der „Glockenturm“ von Ingo Glass keineswegs übersehbar. Ähnlich wie bei seiner tonnenschweren Plastik „Alpha und Omega“ verschränkt Glass hier geometrische Figuren kunstvoll ineinander, wagt sogar spielerisch den Ausbruch aus dem strengen Farbgebot und schafft doch eines der schlichtesten Kunstwerke dieser Ausstellung. Wir stehen davor, und es scheint, als nähmen wir nur den Glockenklang wahr, nicht mehr die Form, die ihn ummantelt.

Ein Raum liegt im Dunkeln. Hat man vergessen, den Lichtschalter zu betätigen? Ungläubig betreten wir ihn und finden darin fünf Installationen von Hans Schork. Die pulsierenden Lichtwege sind so zart, dass Raumbeleuchtung ihre Strahlkraft zu sehr reduziert hätte. Nur schwer können wir uns lösen von den faszinierenden Lichtspielen mit Leuchtstoffröhren und Elektromotoren in den ungewöhnlichen Schaukästen aus Acrylglas. „Fast wie in einem Planetarium, in einer Mischung aus forschendem Beobachterblick und meditativer Innenschau, lassen sich […] ganz ungestört die Bahnen einzelner Lichtpunkte und ihr Herauf- und wieder Abtauchen in immer weiteren Wiederholungen verfolgen.“ Die Redakteurin des Landsberger Tagblatts Minka Ruile hat in ihrem Beitrag zur Vernissage sehr treffend die Empfindungen beim Betrachten beschrieben.

Im Nachbarort, im romantischen Gartencafé „Kultur-Stadl“ der siebenbürgischen Familie Zikeli, lassen wir die Eindrücke aus den beiden ungleichen Ausstellungen Revue passieren: Dort übermütiges Treiben, hier gediegene Ruhe, dort ausgelassene Triebhaftigkeit, hier distinkte Perfek­tion – zwei Ex­treme in der Welt der Kunst. Alles jedoch zu seiner Zeit und an seinem Ort recht. Wir freuen uns, dass wir dank Lore Kienzl beides gesehen haben. Irgendwo in dem Raum zwischen diesen Polen verbringen wir den Rest des Tages, den Rest jener Tage, die vergehen bis zum zweiten Teil der „Drei-Farben-Trilogie“ im Kunstraum Stoffen. Welche Farbe wohl die nächste ist? Wir werden wiederkommen und sie ebenso neu entdecken wie die derzeitige. „Schwarz“ sieht man noch bis 10. Juli.

Carmen Kraus, Landsberg am Lech, 12. Juni 2016
Fotos von Kuno Kraus