21. Sachsentreffen mit Festvortrag von Hansgeorg von Killyen

Am 17. September fand in Kronstadt das große Sachsentreffens statt, an dem nach inoffiziellen Zählungen rund 3000 Gäste dabei waren (ausführliche Berichte dazu wurden sowohl print auch als online in der Siebenbürger Zeitung, sowie in der Allgemeinen deutschen Zeitung (adz) veröffentlicht). Einige Zeidner, die nach der dritten Begegnung im Heimatort nicht abgereist waren, besuchten auch diese beeindruckende Veranstaltung. Sie begann mit einem Gottesdienst des Bischofs in der gänzlich überfüllten Schwarzen Kirche und setzte sich fort auf dem Rathausplatz mit den Darbietungen einiger siebenbürgischen Tanzgruppen und der aus Deutschland angereisten Vereinigten Burzenländer Blaskapelle, in der auch einige Zeidner spielten. Anschließend ging es zum Sportlyzeum in das große Festzelt, wo die vielen Grußworte – über zehn an der Zahl – gesprochen wurden. Die Festrede hielt am Nachmittag Hansgeorg von Killyen, Vorsitzender der Heimatortsgemeinschaft Kronstadt, im Redoute-Saal. Wir wollen euch diese vielbeachtete und vielgelobte Rede nicht vorenthalten und laden euch ein, sie hier zu lesen. Killyen schafft es, wie es bisher kaum anzutreffen war, die historischen Ereignisse von vor 800 Jahren in Bezug zu den heutigen zu setzen.

Bilder von den Veranstaltungen kann man unter folgendem Link anschauen.

Hans Königes

Vortrag Sachsentreffen, September 2011 in Kronstadt

Herkunft prägt Zukunft. 800 Jahre Burzenland

800 Jahre Deutscher Orden im Burzenland: Kaum ein anderes Thema stand in den letzten Monaten so häufig in den siebenbürgisch-sächsischen Medien und auch bei diversen Veranstaltungen im Zentrum des Bewusstseins wie dieses. Die große Exkursion von Marienburg nach Marienburg, an der Viele von den hier anwesenden teilgenommen haben, die Tagungen des AKSL vor Ort, weitere Veranstaltungen z.B. im Potsdam, nächste Woche, das sind einige weitere Beispiele der Präsenz der Deutschordensritter im kollektiven Bewusstsein der Gegenwart. Besonders die Frage, die der wohl beste Kenner dieser Thematik, der Mediävist Prof. Dr. Harald Zimmermann – vor nicht allzu langer Zeit erschien in zweiter Auflage sein Standardwerk „800 Jahre Deutscher Orden in Siebenbürgen“– sich stellt: „Ist dieses Jahr 2011 ein Jubeljahr? Worüber soll man jubeln und was sind 14 Jahre Deutscher Ritterorden im Burzenland gegen 850 Jahre Siebenbürger Sachsen? Warum also feiern wir diese Ordensritter jetzt, wenn ihre Spuren kaum noch sichtbar sind und sie längst vergangenen Zeiten angehören?“ Dazu gesellt sich die relativ neue historische Erkenntnis, dass Kronstadt als Siedlung wahrscheinlich schon v o r 1211 bestand und die Gründung der Stadt nur indirekt etwas mit dem Ritterorden zu tun hat.

Und dennoch. Wir können in der Geschichte immer wieder Zeiten von ganz kurzer Dauer finden, die für die Nachwelt von größter Bedeutung sind. Ein negatives Beispiel dazu: Die 12 (!) Jahre nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland von 1933 bis 1945 haben weltweit unendlich viel Kummer, Leid, Tod und Zerstörung hinterlassen. Ihre traumatischen Spuren werden noch sehr lange erkennbar bleiben.

Feiern wir also Feste, wie sie fallen und gedenken wir dieser Ritter und ihrer Zeit vor 800 Jahren seit ihrer königlichen und päpstlichen Berufung und auch ihrer Vertreibung nach nur 14 Jahren aus dem Burzenland. Gedenken wir der wenigen Jahre um 1211, als der ungarische König Andreas II. und seine bayrische Ehegattin Prinzessin Gertrud von Andechs ihr nur vierjähriges Töchterlein Elisabeth (die spätere Heilige Elisabeth) schon im Kindesalter nach Thüringen schickten, wo sie später einmal den Sohn des dortigen Landgrafen heiraten sollte. So war das damals beim Hochadel üblich. Allein dieses Ereignis ist von großer symbolischer Bedeutung, ging es hier doch um die Anbindung der Menschen Ostmitteleuropas also auch Ungarns an das Abendland – jetzt durch die Verlobung eines Arpadenkindes mit einem Mann aus höchstem und einflussreichem Adelshaus. Auch in der weiteren Geschichte des Donau-Karpatenraumes bestand und besteht das konstante Bestreben, die Bindung an das Abendland zu bewahren und auszubauen. Hunderte Beispiele lassen sich finden, die den Impetus nach dem Westen untermauern. Denken wir nur an die Siebenbürger Sachsen, deren Eigenständigkeit und Identität sich mehr als 800 Jahre lang auch durch ihre geistigen und wirtschaftlichen Bindungen an das Abendland erhalten haben. Oder denken wir an die rumänischen siebenbürgischen Intellektuellen, z.B. die Gelehrten der Scoala ardeleana Petru Maior , Samuil Micu , Gheorghe Sincai und Ion Budai Deleanu bis hin zu den großen Philosophen rumänischer Wurzel des 20. Jahrhunderts Emil Cioran, Constatin Noica, und Mircea Eliade, deren Wirken in Wien oder in Paris oder noch weiter in Amerika nicht zufällig war.

Was hat das alles mit dem Deutschen Orden im Burzenland zu tun, dessen erste Erwähnung vor genau 800 Jahren wir heute und hier feiern? Was wissen wir aus der nur 14 Jahre dauernden Präsenz dieses Ordens im südöstlichsten Eck Ungarns? Sind wir heute, im Jahre 2011, weiser und klüger als unsere historisch aktiven Vorfahren der letzten zwei Jahrhunderte, die in ihrer Erinnerungskultur die Ritter oft etwas mystisch verbrämt dargestellt haben? Was ist geblieben, was ist historisch belegbar, was sind Mutmaßungen? Ist das meiste nur Legende und nationaler Geschichtsmythos?

Ich möchte hier nicht auf die Ritter, die päpstliche Autorität und die Kreuzfahrer eingehen und auch nicht auf die Bemühungen des Deutschen Ordens, deren späterer Hauptauftrag es war, in Ostpreußen eine dominierende Position zu sichern - oft getarnt auch als Kampf gegen die Heiden. Ob die Ritter dort im fernen Ostpreußen die Beschützer einer Erobererkolonie waren oder Bollwerk des lateinischen Christentums?

Ich bin nicht befugt, auf all die Fragen über die Geschichte des Ordens auch nur annähernd Antworten zu finden. Was weiß man über diesenordo teutonicus , auch Deutschherrnorden genannt, dessen ursprünglicher Namen viel harmloser klingt und zwar „Orden der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem“. Was wissen wir über das Leben der vielleicht zwölf oder mehr Reiter in weißen Mänteln mit dem großen schwarz gezeichneten Kreuz am Rücken, mit Schwert und Lanze bewaffnet? Kamen sie allein oder hatten sie einen Tross Begleiter dabei dabei, waren sie Mitglieder der oberen Klassen oder Ministerialien, eine Art privilegierte Mittelschicht? Sicher waren sie Mönche, die nach strengen Ordensregeln, in Askese und mit abgelegtem Coelibatsgelübde ihr Dasein gestalteten. Konnten sie lesen und schreiben? Haben die im Burzenland stationierten Ritter etwas mit der Kulturrevolution jener Zeit, mit der Ausbreitung des Rittertums in Frankreich und in Deutschland und dem höfischen Leben, mit den bedeutsamen ersten Dichtungen, der Entwicklung der deutschen Kanzlei- und Literatursprache zu tun? Wieso kam die ursprünglich karitative Ausrichtung des Kreuzfahrerordens, etwa mit der Errichtung von Hospitälern, im Burzenland nicht zum Tragen? Bekanntlich hatte der Ordensmeister, Hermann von Salza – er wurde 1209 in diesen höchsten Stand seiner Kreuzritter erhoben - in Thüringen auf dem Fundament eines Hospitals die älteste Kommende und spätere Ballei – ein Verwaltungszentrum der Ritter - Thüringens errichtet. Danach entstanden hunderte von Hospitälern und Niederlassungen der Ordensritter von Zypern und Sizilien bis Mitteleuropa. War die Präsenz der Ritter im Burzenland die Generalprobe für ihr Wirken an der Ostsee? Was haben sie im Burzenland hinterlassen? Die mutmaßlichen 5 oder 7 Burgen, von der Marienburg, deren heutige Ruine auf der Flussterrasse des Altes später entstanden ist, bis zur Kreuzburg am Bodsauer Pass und der Schwarzburg am Zeidner Berg? Wie haben sie gewohnt, gelebt, gegessen und geliebt? War es tatsächlich nur die Konkurrenz und die Furcht des Königs vor dem Sesshaftwerden der sicher bestens organisierten und militärisch geschulten Ritter? Waren es nur die Heerscharen Andreas II. und der bereits einige Jahrzehnte vorher dort angesiedelten Deutschen, die sie gewaltsam vertrieben haben?

Bleiben wir bei Bekanntem: Sicher ist inzwischen, dass sie nicht die ersten deutschen Siedler in diesem als unwegsam (terra deserta et inhabitata) beschriebenen Gebiet waren. Die Prämonstratenser Klosterbrüder und -schwestern waren es, die schon 1203 das Kloster Corona unweit der heutigen Schwarzen Kirche gegründet hatten. Andere haben sich vermutlich am Martinsberg niedergelassen und weitere das Dorf Bartholomä gebaut. Auch die Toponymie, die Namensgebung von Orten und Flüssen des Burzenlandes geht - mit Ausnahme von Marienburg - nicht auf die Ritter zurück und ist älter. Tartlau wird in den königlichen Verleihungsurkunden erwähnt und zwar im Zusammenhang mit den Bach Tortillou – der Tartel, aus dem sich das Wort Tatrang, der Bach und das Dorf (Tatrang, ungarisch und sächsisch, rumänisch Târlungeni) ableitet. Wenn auf den Diplomen, mit denen den Rittern das Land verliehen wurde, relativ genau abgesteckte Teile des ungarischen Königreiches verzeichnet sind, wie eben Tortillou oder Barassu (für Burzen), (Namen, die z.T. aus dem Kumanischen, Petschenegischen oder Slawischen stammen) dann sollte vermerkt werden, dass weder die Prämonstratenser, noch die Ritter und die wahrscheinlich sie begleitenden Hospites nicht auf vollkommen unbewohntes Territorium trafen. Dass diese Ackerbauern, vielleicht sogar aus Mitteldeutschland, aus Thüringen, Hessen und Sachsen, nicht die ersten waren, die dieses Land besiedelten, ist heute mit Sicherheit anzunehmen. Allerdings waren die Siedler, die mit den Rittern kamen, Deutsche, sie sprachen einen deutschen, vielleicht auch einen wallonischen Dialekt und sie waren die ersten Ackerbauern des Burzenlandes. Was ebenfalls mit großer Plausibilität angenommen werden kann, ist die Christianisierung der hier und auch über den Karpaten bis an die Donau lebenden Kumanen, Petschenegen und Slawen durch die Ritter und ihre Mönche, denn das war eine Voraussetzung für deren Integration in die ungarischen und deutschen Gemeinden, in denen sie dann mit den Jahrzehnten aufgingen.

Nur 16 Jahre später kam der große Mongolensturm und vernichtete sehr viel. Erst am Ende dieser Feuerwalze konnten die Gemeinden des Burzenlandes, allen voran Petersberg, Honigberg, Marienburg und Tartlau, unter Obhut der Zisterzienser und später der Dominikaner wieder aufgebaut werden.

Für die von den Rittern 14 Jahre lang betreuten Hospites und ihre Nachkommen war dieses erste Viertel des 13. Jahrhunderts, also die Zeit um 1225, bis hin ins 19. Jahrhundert entscheidend. Die in der Verleihungsurkunde an den Deutschen Orden und später im Freibrief von 1224, im Andreanum, festgehaltenen Privilegien wurden zu den Grundrechten für das Leben der Siebenbürger Sachsen. Rechte wie freie Gerichtsbarkeit, eigene Verwaltung, freie Nutzung des Bodens, Abhaltung von Märkten, freie Wahl ihrer Geistlichen, das waren Privilegien, auf denen jahrhundertelang die Eigenständigkeit unserer Vorfahren fußte.

Was bislang an Tatsachen und plausiblen Darstellungen der mittelalterlichen Geschichte Kronstadts und des Burzenlandes zusammengetragen und publiziert wurde – zu nennen hier die letzte beindruckende Publikation zum Thema und zwar Harald Roths „Kleine Stadtgeschichte Kronstadts“ - hinterlässt für mich Laien einige wichtige Grunderkenntnisse.

•  Kronstadt und das Burzenland waren, als der Deutsche Orden kam, kein unbesiedeltes Land, keine Terra deserta et inhabitata. Menschen unterschiedlicher Sprachen gab es schon, sicherlich nur dünn verteilt vor 1211, und die erste Erwähnung der Siedlung oder des Klosters Corona ist um einige Jahre älter als die Berufung der Ritter.

•  Nach Kronstadt und in das Burzenland sind nicht nur einmal Deutsche zugewandert, immer wieder gab es im Zuge der Binnensiedlung ein Transfer von Menschen auch aus und in andere Teile Siebenbürgens.

•  Der Deutsche Orden hat trotz der nur 14-jährigen Präsenz Wesentliches – wenn auch archäologisch kaum Sichtbares - hinterlassen: Die Bauern und Handwerker, die Hospites, die Flandendres oder die Siedler aus Thüringen und Sachsen, sie haben Kronstadt und die sächsischen Dörfer erbaut und das Land urbar und fruchtbar gemacht. Sie und ihre Nachkommen waren die ersten und nachhaltigsten Kulturträger der Landschaft am inneren Karpatenbogen, und das bis in die Gegenwart hinein. Die wirtschaftliche Funktion der Stadt und des Burzenlandes als Zentrum des Ackerbaues und als Mittelpunkt von Handel und Gewerbe, also als Ort der Warenproduktion und des Warenaustausches, das hat das Leben in dieser Region seit der Zeit des Ritterordens wesentlich geprägt.

•  An der Gestaltung und Werdung des Burzenlandes haben mit Sicherheit immer auch Menschen teilgenommen, obwohl urkundlich wenig belegt, die nicht der sächsischen Gemeinschaft angehörten, nennen wir als Beispiel nur die Bulgaren oder Vlachen aus der Oberen Vorstadt Kronstadts, dem Schei, die neben den zeitweise mehrheitlichen Deutschen dieses Stadtteils sichtbare Träger der rumänischen Kultur für das ganze spätere Rumänien waren.

•  Kronstadt war und ist nicht nur ein Zentrum wirtschaftlicher und kommerzieller Potenz sondern auch das Herz geistiger prägender Bewegungen gewesen. Schließlich ist 1542 die Reformation des Johannes Honterus nach Wittenberger Muster vom Burzenland ausgegangen. Kronstadt als Zentrum der Kultur, der Kunst, der Architektur des Donau-Karpatenraumes – das ist auch heute und jetzt mehr denn je sichtbar.

•  Kronstadt war schon vom Anfang seiner Existenz Schulstadt, die erste Schule der Sachsen wird schon 1388 genannt und drei Jahre davor erscheint in den Matrikeln der Universität Wien der erste aus Kronstadt stammende Student. Und im Zeitraum bis 1525 sind 213 Kronstädter und 145 Burzenländer in Wien als Studenten gemeldet. 1543 eröffnete Johannes Honterus seine Liberei (Bibliothek), die zeitweise größte des gesamten ungarischen Königreiches. Honterus selbst vermerkt in seinem Reformationsbüchlein folgendes: „… Auf dass keine Hilfsmittel zur Bewahrung der Religion fehle, haben wir eine öffentliche Bibliothek errichtet und mit allerlei guten Schriften… versehen“. In Kronstadt erschienen schon kurz nach der Reformation wichtige Lehrbücher, so etwa die vor kurzem im Nachdruck veröffentlichte und 1551 geschriebene Gesundheitslehre des Stadtarztes Paulus Kyr.

In der Druckerei des Honterus wurde auch der vom Diakon Coresi ins Rumänische übersetzte Kleine Katechismus veröffentlicht. Von hier aus gingen wertvolle Impulse aus, die die Entstehung der rumänischen Schriftsprache als Folge hatten. Nicht unerwähnt sollte auch die erste rumänische Schule aus dem Jahre 1512 an der Nikolauskirche der Oberen Vorstadt sein, sowie auch die Eröffnung von ungarischsprachigen Schulen kurz nach der Reformation. Dass Kronstadt und die Ortschaften drum herum sich weiterhin als geistige und künstlerische Zentren entwickelt haben, bis hin zur Erhebung der Stadt zum Universitätszentrum, kann aus Zeitgründen hier nur erwähnt werden.

Was bleibt nun heute zu sagen, wenn wir die Vergangenheit dieser stolzen Stadt und der nicht minder stolzen Gemeinden des Burzenlandes in der Rückschau zu betrachten versuchen? Die Menschen aus Kronstadt und dem Burzenland waren und sind stets freiheitsliebend, sie konnten ihre Autonomie bewahren und die jahrhundertelangen Bedrohungen abwehren. Dies ließ ihre Landschaft wirtschaftlich zu einer der modellhaften Regionen Südosteuropas werden. Selbst Seuchen, Brandschatzungen und Überfälle, selbst die sowjetische und kommunistische Ära (man denke nur an die Jahre mit dem schrecklichen Namen Stalinstadt), haben dem Wesen und den Herzen seiner Bewohner nichts anhaben können. Auch die Wunden der zwei Diktaturen des 20. Jahrhunderts, können heilen, auch wenn vom größten Aderlass des 20. Jahrhunderts, dem Exodus der Deutschen und auch der Juden und Armenier aus Kronstadt tiefe Spuren sichtbar sind. Nicht vergessen sollten wir aber auch die Zeiten des politischen Irrsinns von 1939 an, als viele Landsleute den Hitlergruß für genehm hielten aber auch die Jahre des Kommunismus. Wie viele unter uns haben sich aus Überlebensgründen angepasst. Andere sind z.T. lebenslänglich in die dunkelsten Kerker und die menschenunwürdigsten Straflager verbannt worden.

Und auch heute noch sind wir befangen und suchen oft krampfhaft nach Tätern und Opfern der Diktaturen, statt dieser Un-Kultur der Denunziation mit etwas Gelassenheit zu begegnen.

Vorbei ist hoffentlich die Zeit, in der kleinere und manchmal auch länger andauernde Konflikte zwischen den einzelnen Ethnien Siebenbürgens das Zusammenleben belastet haben. Ich glaube aber, dass bei den meisten Kronstädtern und Burzenländern gleich welche Ethnie, in den letzten Jahren ein historisches Erwachsenwerden stattgefunden hat.

Wenn bis auf eine kleine Zahl kaum Siebenbürger Sachsen mehr vor Ort sind, sollte dennoch ihr Wirken in den letzten 2 Jahrzehnten erwähnt werden.

Was sich in den 21 Jahren seit den Dezemberereignissen von 1989 alles im siebenbürgisch-sächsischen Umfeld ereignet und verändert hat, ist hier aus Zeitgründen nicht zu nennen. Exemplarisch nur einiges: das Altenheim Blumenau in der Bahnstraße, die Renovierung zahlreicher Kronstädter Häuser, nicht zuletzt der im Besitz der evangelischen Kirche befindlichen, wie z.B. das Blaue Haus am Marktplatz von Kronstadt. Dazu natürlich die Restitution von Gütern aller Art, die einmal in deutscher Hand waren – die leider noch lange nicht abgeschlossen ist. Und dann die zahlreichen Projekte in nahezu jedem Burzenländer Ort, die Kultur- und Kunstkreise, die Publikationen, die Rückkehr der Siebenbürger Sachsen in das öffentliche Leben durch ihre politischen, kulturellen und sozialen Institutionen. Die Ortsforen der Deutschen, die Kirchengemeinden, sie alle und viele mehr sind Zeugen einer veränderten Welt vor Ort, in der es manchmal gar nicht wichtig ist, ob die Sprache unter den Menschen deutsch, rumänisch oder ungarisch ist.

Ein sehr aktuelles Beispiel dazu, der Jugendbachchor der Schwarzen Kirche unter der Leitung von Dr. Steffen Schlandt: in ihm singen vier Menschen, deren Muttersprache Deutsch ist, vier Ungarn und 18 Rumänen, und wer sie erlebt hat, vor einigen Wochen in Dinkelsbühl oder in Stuttgart, dem ist die integrative und verbindende Rolle der Kunst und Kultur heute im großen Rahmen des Vereinten Europas voll bewusst geworden. Und auch die Jahrzehnte laufenden erfolgreichen sozialen und kulturellen Werke der jetzt im Westen verankerten Burzenländer Heimatortsgemeinschaften und ihres Dachverbandes, deren Mitstreiter als Regionalgruppe Burzenland unermüdlich viel geleistet haben. Sie haben nicht nur rückwärtsblickende, nostalgische Ziele. Ihre Gemeinschaften mit ihren zahlreichen Kreisen, ihre Treffen, ihre Publikationen, sie haben sich entfaltet wie kaum jemals in der Vergangenheit.

Die Burzenländer hier vor Ort und ihre Präsenz im sozialen und politischen Leben der rumänischen Mehrheit soll auch kurz erwähnt sein: Das Bemühen um die konkrete Akzeptanz der deutschen Kultur der Vergangenheit und Gegenwart in dem aktuellen Bürgerleben der Städte und Gemeinden, beginnend mit den dreisprachigen Ortsnamenschildern bis hin zu Publikationen über unsere siebenbürgisch-sächsische Geschichte, das sind Zeichen eines neuen ethnischen Verständnisses des Miteinanders, und sollte nicht opportunistisch als äußere Anpassung an die Gegebenheiten der EU abgetan werden.

„ Flügel dort, Wurzeln hier, Brücken über Zeit und Raum“, wie neulich ein hochrangiger Berliner Politiker unser Dasein beschrieb, das fordert selbstbewusste Rückbesinnung auf die Vergangenheit mit einem pragmatischen und zupackenden Blick nach vorne. Das ist mehr als eine rein akademische Beschäftigung auch mit dem Thema Deutscher Ritterorden vor 800 Jahren, das wir heute betrachten. Die bäuerlich, handwerklich und geistig intensiv wirkenden Menschen der Burzenländer Gemeinden und ihrer Krone, der Stadt unter der Zinne, diese Menschen waren keine genetischen und auch keine ideellen Nachkommen der Ritter. Streit und Kampf mit Schild und Schwert, das waren eher die Ausnahmen, ihre Eigenart zeigte sich vielmehr bei der Verteidigung an den Schießscharten und Pechnasen der Burgen. Fleiß und Beständigkeit, die jahrhundertealten demokratischen Strukturen ihrer Netzwerke bis hin zum Ausbau ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen, das ist geblieben und wird auch weiterhin bleiben.

Kronstadt und das Burzenland sind heute eine Region mit einem weiten Entwicklungsspektrum, eine Metropole mit höchsten wirtschaftlichen, kulturellen und touristischen Möglichkeiten, an dessen weiterem Wachsen wir alle, im Westen oder hier Lebenden großen Anteil und eine hohe emotionale Bindung haben. Jubeln sollten wir nicht in der Besinnung auf unsere Vergangenheit, vielleicht sollten wir eher dankbar sein für unsere Wurzeln und für unsere friedvolle Gegenwart.

Ich wünsche allen Kronstädtern, allen Burzenländern und allen Gästen des Sachsentages 2011, gleich welcher Zunge, Zeit, dass wir aus diesen Wurzeln, die uns geprägt haben, auch in Zukunft unsere Gemeinschaft im Kleinen und auch auf großer, europäischer Ebene weiterhin fruchtbringend gestalten mögen.

Hansgeorg v. Killyen