Rosa Tünche verdeckt Giebelspruch

Vom Schicksal deutschsprachiger Inschriften an zwei Häusern in Zeiden

von Wolfgang Wittstock

In seiner „Siebenbürgisch-sächsischen Volkskunde im Umriss“ (Leipzig 1926) beschreibt Adolf Schullerus (1864-1928) das typische siebenbürgisch-sächsische Bauernhaus wie folgt (S. 23): „Das Ziegeldach ist an der obersten Spitze der Stirnseite traulich abgewalmt, an dem Giebel trägt es gern fromme und ernst bedenkliche Sprüche, die angeben wollen, wen und was man hinter diesem wohlverschanzten Mauerwerk zu finden hat: frommen Glauben, Demut, Arbeitsamkeit, aber auch hochfahrenden Sinn, kecke Herausforderung.“ Zum gleichen Thema äußerte sich auch die Volkskundlerin Roswith Capesius (1929-1984): „Namen des Besitzers, entweder ganz oder nur in Initialen, und dazu noch das Erbauungsjahr auf die Giebelfront zu schreiben, gehört zu einer weiteren Gewohnheit, während dann im 18. Jahrhundert die Giebelsprüche in sehr vielen siebenbürgischen Dörfern in Mode kommen“ (vgl. „Aus der Volkskunde der Siebenbürger Sachsen“, herausgegeben von Horst Klusch, Hermannstadt 2003, S. 47 f.). Namhafte Volkskundler, z.B. Josef Haltrich (1822-1886), haben umfangreiche Sammlungen derartiger Giebelsprüche angelegt und damit wichtige Beispiele dieser besonderen Gattung der Volkspoesie vor dem Vergessen bewahrt. Interessant ist, dass die meisten dieser Sprüche in der deutschen Hochsprache und nicht in der Mundart verfasst wurden.

In den siebenbürgisch-sächsischen Ortschaften kann man auch heute noch gelegentlich derartige erbauliche Giebelsprüche in deutscher Sprache entdecken. Ihre Zahl nimmt allerdings zunehmend ab. In den meisten Fällen haben die neuen, andersnationalen Eigentümer ehemals sächsischer Anwesen keinerlei Beziehung zu dem Text, der den Giebel ihres Hauses schmückt, und bei der ersten anfallenden Fassadenrenovierung wird der Giebelspruch übertüncht. Aus der Sicht des Denkmalschutzes ist das ein bedauerlicher Verlust kulturhistorischer Werte.

Ein bezeichnendes Beispiel für das Verschwinden eines derartigen Giebelspruchs in deutscher Sprache wurde uns kürzlich aus der z.T. noch ländlich geprägten Burzenländer Kleinstadt Zeiden zur Kenntnis gebracht. Es handelt sich um das Haus Marktgasse/Măgurii-Straße 7. In Band 3.4 der „Denkmaltopographie Siebenbürgen“, herausgegeben vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg im Jahr 2002 – er behandelt die Ortschaften Zeiden, Neustadt/Cristian, Schirkanyen/Şercaia und Wolkendorf/Vulcan -, wird dieses Bauernhaus wie folgt beschrieben (S. 167): „Ziegelgedecktes Kranzgesims, im Giebel Dachbodentür, zwei Luken, unleserliche Inschrift in Sgraffito in dt. Sprache und die Initialen mit Datierung: M.B. 1828.

Inzwischen ist diese Inschrift aus dem Giebel des Hauses Marktgasse 7 verschwunden. Der Hermannstädter Geographielehrer Friedrich Philippi, der seit vielen Jahren siebenbürgisch-deutsche Giebelinschriften systematisch fotografiert, konnte uns ein Foto zur Verfügung stellen, auf dem dieser Giebelspruch noch zu sehen ist. Zusätzliche Unterlagen konnten wir bei Frau Jutta Adams, Presbyterin der Evangelischen Kirchengemeinde A.B Zeiden, einsehen. Daraus geht hervor, dass die besagte Inschrift im Jahr 2001 weiß übermalt war. Ein Jahr später, 2002, war sie wieder zu sehen und zu lesen, doch waren viele Buchstaben falsch nachgemalt worden, was die Unverständlichkeit des Textes zu Folge hatte. Unlängst wurde dem Haus Marktgasse 7 ein intensiv rosafarbener Anstrich verpasst, dem der Giebelspruch erneut zum Opfer fiel.

Frau Jutta Adams gehört zu den Zeidnern, die mit derartigen Änderungen im äußeren Erscheinungsbild ihrer Stadt nicht einverstanden sind. Sie vertritt den Standpunkt, dass die Inschrift nicht hätte abhanden kommen dürfen und wieder sichtbar gemacht werden müsste. Dafür kann sie auch den ursprünglichen Text zur Verfügung stellen. Er ist aufgezeichnet in dem 1928 veröffentlichten Buch „Aus Zeidens Vergangenheit“ von Friedrich Reimesch (S. 107) und hat folgenden Wortlaut: Mensch gedenk täglich/An die Sterblichkeit/Alles ist vergänglich/Und es währt eine kleine Zeit./Die Armen und die Reichen/Von dannen müssen weichen/In die Ewigkeit.//Doch was willst du nehmen/Mit dir aus der Welt,/Es wird dich alles beschämen,/ Alles Gut und Geld./Ei so tu doch meiden,/Dass du kannst mit Freuden/Scheiden von der Welt.

Das hier beschriebene Beispiel der Inschrift im Giebel des Hauses Marktgasse 7 ist kein Einzelfall. Ein ähnliches Schicksal hatte der Giebelspruch eines Hauses in der gleichen Gasse, auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Marktgasse 30). In dem bereits zitierten Band 3.4 der „Denkmaltopographie Siebenbürgen“ steht dazu (S. 166): „Giebel mit Fenster, Inschrift bei Renovierungsarbeiten 1997 überdeckt:Johannes Kloos 1833. Der Herr der aller Enden regiert mit/seinen Händen der Brunn der ewigen/Güter der ist mein Hort und Hüter.“ Auch diesen Giebel hatte Prof. Friedrich Philippi rechtzeitig, d.h. vor der Renovierung 1997, fotografiert. Das uns zur Verfügung gestellte Foto zeigt, dass es bis zu dieser Renovierung im Giebel des Hauses Marktgasse 30 eine Dachbodentür gegeben hat, die zugemauert wurde, sodass es jetzt hier nur noch ein Dachbodenfenster gibt.

Anlässlich unserer Beschäftigung mit den verschwundenen Giebelsprüchen in Zeiden hatten wir auch ein Gespräch mit Stadtrat Erwin Albu, Vorsitzender des hiesigen Deutschen Ortsforums. Herr Albu will seine Stadtrats-Autorität gern für die Wiederherstellung des Giebelspruchs am Haus Marktgasse 7 einbringen. Er gibt allerdings zu bedenken, dass dafür nicht nur das Einverständnis der neuen Hausbesitzer nötig ist, sondern dass man auch kundige Handwerker braucht, die die Sgraffito-Technik beherrschen, in der dieser Spruch gefertigt war. Vielleicht können diese Zeilen ein Ansporn sein, den guten Vorsatz zur Tat gedeihen zu lassen.

(erschienen in der „Karpatenrundschau“, Kronstadt, am 13. November 2008)